Stefan Zweig: Zitate

Von dem schlafenden Hause, auf dem die Vormittagshitze lastete, lief ein schmaler, kiesbedeckter Weg wie eine weiße Linie zu dem kühlen Aussichtspunkte, unter dem die Wogen in wilden, unaufhörlichen Anstürmen grollten und hie und da schimmernde Wasseratome heraufstäubten, die beim grellen Sonnenlichte im regenbogenfunkelnden Glanz von Diamanten prahlten.

Vergessene Träume (1900)

Fern Berge, die sich tief ins Blau verlieren
Und fern des Lebens unruhvoller Klang. —
Hier ist kein Atemzug der Welt zu spüren
Nur Fliederdüfte wehn das Feld entlang.

Im Feld. (1901)

Siehe die Nacht hat silberne Saiten
In die träumenden Saaten gespannt!
Weiche verzitternde Klänge gleiten
Über das selig atmende Land
Fernhin in schimmernde Weiten.

Nocturno. (1901)

Nun wollen wir dem Licht entgegen,
Das um die Purpurwipfel rollt.
Das Leuchten flammt auf allen Wegen
Und wächst und wird zum Morgengold.

Die glutumlohten Tannen singen
Und Jubel bricht aus jedem Klang,
Wie kampfbereihtes Fahnenschwingen
Braust durch den Wald der Höhensang.

Morgenlicht (1901)

Das sind die Stunden, die der Sehnsucht heilig sind:

Wenn in den Blütenblättern still der Abendwind
Ein dämmerdunkles Lied der müden Wehmut rauscht
Und dann verstummend selbst dem Spiel der Töne lauscht,
Wenn alle Kelche sommerschwere Düfte glühn,
Und ferne Himmelsrosen purpurblutend blühn,

Das sind die Stunden . . . (1901)

Leise zieht mein Boot in blassen Wellen,
Die den Sternenreigen funkelnd spiegeln,
Breite, duftumhüllte Silberquellen
Rinnen von den mondbeglänzten Hügeln.

Und der Nebel sinkt in faltenschweren
Lichtgewanden müde um die Bäume,
Dunkeltrotzig starren rings die Föhren
Wie versteinte, sorgendüstre Träume.

Und von wildzerzackten Felsenwänden
Schwebt die Nacht behutsam durch die Stille

Nacht am Gebirgssee. (1901)

Die Nebel sinken tiefer in das Dämmern,
Ein düstrer, schwarzumgrauter Wintertag,
Es singt der Sturm. Und schwere Tropfen hämmern
An trübe Scheiben, rythmisch Schlag auf Schlag.

Winterabend im Zimmer. (1901)

Durch die dunkelgold’gen Garben
Leuchten fröhlich bunte Farben,
Blumen, die die Mahd versäumten
Blicken müde mit verträumten
Großen Augen in das Feld.

Weiße Schmetterlinge streichen
In den milden, sommerweichen
Blumendüften auf und nieder,
Und der Bienen leise Lieder
Wiegen in den Schlaf die Welt . . .

Spätsommer (1901)

Das dumpfe Brausen ist vergangen. —
Nun stehn die Bäume stahlbeglänzt und nackt,
Die Tropfen zittern, die von Syrinxblüten niederhangen
Und fallen langsam, wie im Takt. —

Nach dem Frühlingsregen. (1901)

Und doch war es eine jener Sekunden, in die tausende Stunden und Tage voll Jubel und Qual gebannt sind, gleichwie der großen dunkelrauschenden Eichen wilde Wucht mit all ihren wiegenden Zweigen und schaukelnden Kronen in einem einzigen verflatternden Samenstäubchen geborgen ist.

Der Stern über dem Walde (1904)

Wir erleben Myriaden Sekunden, und doch wirds immer nur eine, eine einzige, die unsere ganze innere Welt in Wallung bringt, die Sekunde, da (Stendhal hat sie beschrieben) die innere, mit allen Säften schon getränkte Blüte blitzhaft in Kristallisation zusammenschießt – eine magische Sekunde, gleich jener der Zeugung und gleich ihr verborgen im warmen Innern des eigenen Lebens, unsichtbar, untastbar, unfühlbar, einzig erlebtes Geheimnis. Keine Algebra des Geistes kann sie errechnen, keine Alchimie der Ahnung sie erraten, und selten errafft sie das eigene Gefühl.

Verwirrung der Gefühle (1927)

Mit einem schwang warmer Wind sich von Süden her, unter seinem hitzigen Fuß barst das Eis in den Strömen, Krokus und Veilchen nisteten ihr farbig Geblüh unter seine flüchtige Spur auf den Wiesen. Über Nacht buschten die Bäume sich grün, knospig Gewinde brach in feuchten Beulen aus erfrorenen Ästen, der Frühling hob sich auf von der dampfenden Erde und mit ihm wieder der Krieg.

Verwirrung der Gefühle (1927)

Nacht. – Die schlummernden Saaten hauchen
Heißen sinnbetäubenden Duft,
Dünste steigen in silbernen Rauchen
Aus der schwülen stockenden Luft.

Fernher droht ein Gewitterleuchten
Über dem dunkelnden Horizont.
Wolken umkreisen gleich aufgescheuchten
Vögeln den gelblich glimmenden Mond.

Und die Donner grollen mit schweren
Rufen in das harrende Land.
Über die reifen rauschenden Ähren
Streift es wie eine schweigende Hand …

Landschaft