Freilich schien es dem General, daß dies ebensowenig
wörtlich zu nehmen sei wie alles andere, was gesprochen
wurde. »Wenn heute der Erlöser zurückkehren möchte,« sagte
er sich »so würden sie seine Regierung ebenso stürzen wie
jede andere!« Nach seiner persönlichen Erfahrung vermutete
er, daß dies davon komme, daß die Leute zuviel Bücher und
Zeitungsartikel schrieben. »Wie gescheit ist die
militärische Vorschrift,« dachte er »die es den Offizieren
verbietet, Bücher zu schreiben, ohne besondere Erlaubnis
ihrer Obrigkeit.« Er erschrak ein wenig darüber, eine so
heftige Loyalitätsanwandlung hatte er schon lange nicht
erlebt. Ohne Zweifel, er selbst dachte zuviel! Das kam von
der Berührung mit dem zivilistischen Geist; der
zivilistische Geist hatte den Vorteil, eine feste
Weltanschauung zu besitzen, offensichtlich verloren. Das
erkannte der General deutlich, und dadurch zeigte sich ihm
das ganze Gerede vom Erlösen jetzt auch noch von einer
anderen Seite. General Stumms Geist wanderte zu den
Erinnerungen an empfangene Religions- und
Geschichtsstunden zurück, um diesen neuen Zusammenhang
aufzuklären; es läßt sich schwer sagen, was er sich dabei
dachte, aber wenn man es aus ihm herausgehoben und
sorgfältig geglättet hätte, würde es wohl ungefähr so
ausgesehen haben: Um mit dem kirchlichen Teil kurz zu
beginnen, solange man an Religion glaubte, konnte man
einen guten Christen oder frommen Juden hinunterstürzen,
von welchem Stockwerk der Hoffnung oder des Wohlergehens
man wollte, er fiel immer sozusagen auf die Füße seiner
Seele. Das kam davon, daß alle Religionen in der
Erläuterung des Lebens, die sie dem Menschen schenkten,
einen irrationalen, unberechenbaren Rest vorgesehen
hatten, den sie Gottes Unerforschlichkeit nannten; ging
dem Sterblichen die Rechnung nicht auf, so brauchte er
sich bloß an diesen Rest zu erinnern, und sein Geist
konnte sich befriedigt die Hände reiben. Dieses Auf die
Füße Fallen und Sich die Hände Reiben nennt man
Weltanschauung, und das hat der zeitgenössische Mensch
verlernt. Er muß sich entweder des Nachdenkens über sein
Leben ganz entschlagen, woran sich viele genugtun, oder er
gerät in jenen sonderbaren Zwiespalt, daß er denken muß
und scheinbar doch nie recht damit zum Ende der
Zufriedenheit gelangen kann. Dieser Zwiespalt hat im Lauf
der Zeiten ebenso oft die Form eines vollständigen
Unglaubens angenommen wie die der erneuten vollständigen
Unterwerfung unter den Glauben, und seine heute häufigste
Form ist wohl die, daß man überzeugt ist, ohne Geist gebe
es kein rechtes menschliches Leben, mit zuviel Geist gebe
es aber auch keines. Auf dieser Überzeugung ruht ganz und
gar unsere Kultur. Sie achtet streng darauf, Geldmittel
für Lehr- und Forschungstätten bereitzustellen, aber ja
nicht zu große Geldmittel, sondern solche, die in einem
angemessenen Kleinheitsverhältnis zu den Beträgen stehn,
die sie für Vergnügungen, Automobile und Waffen ausgibt.
Sie schafft auf allen Wegen freie Bahn dem Tüchtigen, aber
sorgt vorsichtig dafür, daß er auch der Geschäftstüchtige
sei. Sie anerkennt nach einigem Widerstand jede Idee, aber
das kommt dann von selbst auch deren Gegenidee zugute. Das
sieht so aus wie eine ungeheure Schwäche und
Nachlässigkeit; aber es ist wohl auch ein ganz bewußtes
Bemühen, den Geist wissen zu lassen, daß Geist nicht alles
sei, denn würde auch nur ein einziges Mal mit einer der
Ideen, die unser Leben bewegen, restlos, so daß von der
Gegenidee nichts übrig bleibt, Ernst gemacht werden,
unsere Kultur wäre wohl nicht mehr unsere Kultur!