Max Dauthendey: Zitate

Inhalt


Poesie

Du gehst tief auf dem goldenen Grunde der Seen.
Lautlos steigen in Strahlen graue Korallen,
Fließen Phosphorfeuer von grünen Kristallen,
Sinken Perlen auf den braunwelken Grund.

Draußen von silbernen Sonnenufern
Neigen sich Glocken
Und locken mit blauen Kelchen
Die smaragdene Tiefe.

Ultra Violett. Einsame Poesien (1893) — Im Buchenwald

Weiß der Park, ein Korallenhain.
Eisfäden schneiden den See.
Grün gleißen Pfauen im Sternenschein
Auf ätherblauem Schnee.

Ultra Violett. Einsame Poesien (1893) — Faulbaumduft

Purpurne Inseln in schlummernden Fernen.
Silberne Zweige auf mondgrüner Au.
Goldene Lianen auf zu den Sternen,
Von zitternden Welten
Sinkt Feuertau.

Amselsang

Schwergebogen nasse Äste,
Trübe Aprikosenblüten.
Unter tiefen Wolken schleichen
Feuchte Wege.
Aschenweiche tiefe Wälder,
Kahle perlenmatte Fjorde,
Kaltes Schilf. Auf glasigem Grunde
Spielen scheue Rosenmuscheln.

Morgenduft

Schwarz schleichen Efeuwellen
Über Goldlackranken.
Im Glimmersande rauchen
Violenschwüle Quellen.

Wolkenschatten

Lilakühl das Schweigen nach dem Regen.
Blaue Winde fließen über dunkle Ackerfurchen.
Im lichtgrünen Himmelskelch
Öffnet sich der erste Stern.

Resedaduft

Wachsbleich die Sommernacht
Auf erddunklen Moderlachen
Singen rosigblaue Irislichter.

Jasmin

Schreie. Ein Pfau.
Gelb schwankt das Rohr.
Glimmendes Schweigen von faulem Holz.

Flüstergrün der Mimosen.
Schlummerndes Gold nackter Rosen
Auf braunem Moor.

Weiße Dämmerung rauscht in den Muscheln.
Granit blank, eisengrau.
Matt im Silberflug Kranichheere
Über die Schaumsaat stahlkühler Meere.

Regenduft

Streng keimen marmorkühle Myrthen,
Edelweiß aus wehem klagenden Alabaster,
Singen mit den weißen Winden:

Eine eisblasse Mondwelle schläft
Bei den mattgrauen Wellen der Sonne …

Reif

Nachtstille.
Sternenäste durchqueren
Weiß die blauenden Ätherauen.
Im West entfaltet grüngolden
Wie Duft von Lotosdolden,
Ein später Schein.
Schneereste in Schlacken
Begraut am Wege.
Nirgend ein Laut.
Sacht auf silbernen Spulen rinnen
Tausende Wasser von Felsenzinnen.
In schwarzen Zügen das Schattenland.
Aus grauen Hügeln lauschen die Trolle,
Tauschen Geflüster von Wand zu Wand.
[…]
Lodernde Tage.
Heckenrosen und Apfelknospen
Flogen in rosigen Bogen
Über den Lagern von goldenen Moosen.
Weiße Convalien und Erdbeerblüten
Sprühten kühlende Düfte.
Tief aus heimlichen Schatten umschlang
Einer Amsel Silbergesang
Sonne bis spät zum Ermatten.

Goldene Tränen

In gleißem Kerne die Sonnenglut.
In Blauflut die Berge zur Ferne.
Die Mittagflammen blank und grell,
Jagen und schlagen schmetternd hell
In weißen Bränden.
Schwerblau klingt vom Himmel der Ätherstrahl.
Grün sprüht kristallen das Wiesental,
Goldlicht gießt schmeichelnden Honigtrank
Über Violen und Nelken.
Tauperlen splittern in Irisflut,
Funkeln auf purpurner Veilchenglut
Im Dunkeln zitternder Erlen.
In schwarzen Moosen glüht weiß ein Quell,
Rot heiß blüht der Mittag auf Rosen.

Dornröschen - Rosenschein

Der Abendhimmel leuchtet wie ein Blumenstrauß,
Wie rosige Wicken und rosa Klee sehen die Wolken aus.
Den Strauß umschließen die grünen Bäume und Wiesen,
Und leicht schwebt über der goldenen Helle
Des Mondes Sichel wie eine silberne Libelle.
Die Menschen aber gehen versunken tief drinnen im Strauß,
Wie die Käfer trunken und finden nicht mehr heraus.

Drinnen im Strauß

Und auch den Äckern gingen Augen auf.
Kornblumen, die stahlblauen, stummen,
Betrachten wie Augen der Sonne Lauf.

Ihre Farbe ist ehrfürchtig und tief.
Sie wohnen ernst auf den Ackerkrumen,
Die blaue Ruhe sie aus der Erde rief;

Der Himmel stückweis auf der Erd’ einzieht
Und grünende Ähren über ihm summen,
Und eine Kornblum’ der andern wie Aug’ ins Auge sieht.

Und auch den Äckern gingen Augen auf

Prosa

Es war recht lauschig in dem gründämmerigen Ulmenwege. Das Licht schwamm in gedämpfter Helle, nur hie und da schlug der silberne Morgenhimmel grelle Breschen durch das Laubgewölbe.

Draußen unumschränkte Sonnenflut. Die Farben schwiegen geblendet. Die Berge drüben schimmerten blaßgrün, am Rande mattblau, tiefer am Hange graugelb. Unten breit und selbstbewußt die Elbe.

Josa Gerth (1893)

Die Gittertür stand offen. Draußen schimmerte der Wiesenstreif grausilbern. Die Blüten schwammen wie in grüner Flut über den Halmen. Weißer Schierling, blaue Sumpfblumen, braunrosa Sauerampfer und grellgelbe Dotterblumen.

Josa Gerth (1893)

In der Ferne glimmerte feuchter Nebelstaub, der Sonnenschein wühlte silberschäumend im niederen Weidenbuschwald, Kräuter, Blüten strahlten, und in dieser Morgeneinsamkeit, dies eifrige Summen der Bienen, das klang wie tief in der Erde gemurmeltes Beten.

Josa Gerth (1893)

Sie malte ihm das Leben auf dem Pfauenhofe, wie es am Morgen war, an laufeuchten Wintermorgen, wo der Tag so langsam herauskroch, rings in weißen flachen Nebeln die Stadt, die Berge, die Ferne, alles in blasses Nichts zerronnen; Himmel, Erde eine weite ungeheuere Einsamkeit, mit großen leeren Augen. In den Zimmern unruhige fremde Helle, nackte Verlassenheit umklammerte die Wände, das ganze Haus. – Und harte glitzernde Februarnächte. Bleiche Eisspiegel auf welkem jährigen Laube, graue, geborstene Schneerinden, in Rinnen und Graben ungeduldiges Rieseln und Sickern. Endlich – Frühling. Scheue, zage Sehnsucht, lind und weich wie schmiegsame Märzluft, tränenfeucht und zitternd wie seufzende Märzluft. Und Julibrand, und Herbsttaumel, wieder Winter, wieder Frühling, und dann eines Tages im brennenden Sommerschweigen die schauernde Erwartung. –

Alles reglos bleich im stieren Mittagslicht. Die Hitze staut sich zwischen dem Blau und der Erde. Eine schwere, stockende Hitze, welche jede Bewegung hemmt. Sonnenschein auf den Bergen, Sonnenschein auf dem Grün, Sonnenschein über dem weiten Himmel. Überall stummbrütender Sonnenschein.

Über der Ferne schlummern grübelnde blaue Schatten, näher im Tale dumpfe mattviolette Schatten, aber alle niedergedrückt von dem schwerfälligen Licht.

Josa Gerth (1893)

Eines Nachmittags zog von Westen milchiger Duft vor die Sonne. Das Licht verkroch sich, wie von Staub verschüttet. In der Nacht jagte Regen nieder. Am nächsten Morgen regnete es noch, auch den folgenden, und dann war es ernster gedankenvoller Herbst geworden.

Josa Gerth (1893)

Der Vollmond dunkelorange, ein träg aufsteigender Feuerballon. Dies große leuchtende Schweigen erdrückte fast. Es schwebte der Erde greifbar nahe, es machte das Herz pochen. Eine bräunliche Dunstsphäre sammelte sich um die Scheibe und verlor sich höher in dumpfes Enzianblau. Wolken schwammen wie dunkle Felsen heran. Das Licht meißelte scharfe Kanten ein, wie in brüchigen Marmor. Unten über der Stadt, dem Häusergewirr, mattsilberne Finsternis. Der Neubauturm löste sich aus den Giebelzacken.

Josa Gerth (1893)

Es war gegen Abend. Der Westhimmel zitronengelb, das Mainwasser von schwärzlichem Efeugrün, von schlanker Glätte wie straffe Seide. Auf den Wogen messinggelbe Strähnen und springender Flimmer. Die Wellen stritten um den Goldschmuck, tränkten, schoben, überstürzten sich. Schmiegten sich aneinander, glitten geschmeidig fort, tauchten, bogen und wölbten sich in geschäftigem Wechsel.

Josa Gerth (1893)

Drüben gleitet die Sonnenscheibe hinter blaue Wolkendämme. Der Himmel weit geöffnet, in ewiger Ferne eine seltsame Welt. Durchsichtige Gletscherrücken. Schwellend, gehäuft voll rosigen Flieder, grüne Malven. Bernsteinadern krampften sich darüber. Aus Rissen und Buchten stürzten Strahlenkeile wie steile Säulen aus Perlmutter. Und in den Wolkengründen gor grünes Gold und zerstäubte zum veilchenrosigen Zenith. Allmählich kroch aschiger Moder über die Silberblüten. Ein Granatlicht ballte sich. Über dem Waldsaum, den Bergflächen, wirbelte es wie Graphitstaub vor Flammen.

Josa Gerth (1893)

Er, der nur mit den Augen an den Baumrinden gelebt hatte, horchte, wie das Dünengras raschelte, wie die Dünenmäuse miteinander wisperten, wie die Füchse hinter den Baumwurzeln bellten, wie die Eulen sich zuriefen und wie die Fische im Mondschein plätscherten.

Novellen — Die Abendglocken vom Mijderatempel hören

Kurz vor Sonnenuntergang erreicht der Bahnzug in den Bergwellen auf der Höhe von vierzehntausend Fuß todstumme Mooswälder, große, moosumwucherte Laubholzwälder. Die Baummassen sind wie graue Versteinerungen regungslos ineinandergewachsen, als ob die Baumklumpen sich im kühlen, dünnen Luftzug gegenseitig festhielten, damit auf den schiefen Ebenen in der ungeheuren Höhe nicht jählings ein Schwindelgefühl ganze Wälderstrecken in die Tiefe reiße.

Novellen — Der Garten ohne Jahreszeiten

Das ist der Fluch und zugleich die Wollust des Reisens, daß es dir Orte, die dir vorher in der Unendlichkeit und in der Unerreichbarkeit lagen, endlich und erreichbar macht. Diese Endlichkeit und Erreichbarkeit zieht dir aber geistige Grenzen, die du nie mehr loswerden wirst.

Novellen — Himalajafinsternis

In Penang herrscht über allen Dingen, über den Kalkwänden der Häuser, über den breiten Blattflächen der Palmen und über der Haut der Menschen ein ewiges blaues Licht. Immer ist eine Bläue dort über allem, wie ein beständiger Mondschein mitten im Sonnenschein. Das blaue Licht von Penang ist wie der bläuliche Schimmer einer unsichtbaren elektrischen Bogenlampe, ist über den Springbrunnen der Gärten, über den Pflastersteinen, über den Wasserspiegeln des Meeres und selbst über den Panzerplatten der vorüberfahrenden Kriegsschiffe gleichwie ein Phosporleuchten mitten am Tage. Und die Bläue macht den Muschelkalk der Häuser transparent, als könnten die Menschenschritte hier durch die geisterhaften Wände gehen, als wäre die Stadt nur ein bläuliches unwirkliches Schlafbild mitten unter der wachen Tropensonne

Novellen — Im blauen Licht von Penang

In Nara war es Hochsommer. Die Wiese vor dem großen Zedernwald, darauf die feuerrote sechseckige Pagode steht, war umwimmelt von weißen, blauen und gelben Schmetterlingen. Im Wald bei den rotbraunen senkrechten Zedernstämmen stehen, dichtgedrängt wie Grabdenkmäler in einem Kirchhof, Steinlaternen in Gruppen und Gassen und begleiten alle Waldwege, dichtgedrängt wie versteinerte Völker. Schwarzbronzene Hirsche, von Künstlern als Statuen gegossen, ruhen auf Steinsockeln. Aber auch Hunderte von lebenden Rehen und Hirschen gehen in großen Rudeln zahm auf allen Wegen, zahmer als Hühner in einem Hühnerhof.

Das Abendrot zu Seta

Die schieferblaue Bergwelt von Nikko mit einer Silbersonne über den silbernen Kiesbächen, mit blausteinigen Schluchten, deren Ränder von schwarzen zerzausten Kryptomerien umstanden sind, tauchte auf. Das liebliche Japan war verschwunden, und ein heroisches Japan lag hier, mit nasser Felsenschlucht, mit senkrechten weißen Wasserfällen unter einer Sonne, die einem weißen Metallspiegel glich. Wie kupferrote Wimpel hing das rotblättrige Frühlingslaub der Ahornbäume über den Gebirgswegen. Hie und da blühten auch ein paar rosige wilde Kirschbäume und an der Sonnenseite der Abhänge ganze Wälder von rosigen Kamelienbäumen.

Das Abendrot zu Seta

Die Frau suchte die Tempel auf, die auf grünen, dunkeln Waldterrassen mit blaubronzenen Dächern und rotem Gebälk wie verwunschene Waldschlösser unter bärtigen, tausendjährigen Kryptomerienbäumen liegen.

Viele Tempelwände sind mit kopfgroßen Chrysanthemumblumen aus erhabener Perlmutterarbeit geschmückt und leuchten in sieben Regenbogenfarben. Auf andern Wänden sind aus goldenem Lack in Relief erhabne goldene Löwen und goldene Tiger in springenden Stellungen gearbeitet. Auf andern aus rotem Lack rote Fasanen, aus grünem und blauem Perlmutter Pfauen, aus Elfenbein weiße Kaninchen und weiße Rehe und ganze Elfenbeinwände voll von weißen und bläulichen Päonien, umgeben von Schmetterlingscharen aus Perlmutter.

Das Abendrot zu Seta

Der Schnee, der fein bläulich schimmerte wie eine Phosphormasse, schien mir aus weißen, eisigen Blüten zu bestehen, den Blumen der Vergessenheit, die diesem Eiland im Weltraum unklares Licht gaben, und über denen die Schatten der Menschen sich lautlos begegneten.

Die Kurzsichtige und der Komet

Nur am schläfrigen Hochsommermittag, wenn das Seewasser faltenlos mit dem sonnigen Himmel eins geworden ist und kaum noch eine dünne Haarlinie die Seehöhe von der Himmelshöhe trennt, dann ist da eine Sekunde, die jedem ewig im Gedächtnis bleibt, der einmal den Seesommer am Uferrand dort eingeatmet hat - eine Sekunde, die in die Einheit des sonnenglatten Sees eine Teilung bringt, als ob in einem lautlosen Zimmer, in dem zwei Glückliche umarmt Gesicht an Gesicht liegen, ein einziger Glücksseufzer die Stille unterbräche und an ein fernes und künftiges glückliches Leben sich anschlösse. Das ist die Brise von Amazu, die wie ein großer Glücksseufzer über den Hochmittagsee durch die Sommerstille kommt.

Die acht Gesichter am Biwasee. Japanische Liebesgeschichten. (1911) — Sonniger Himmel und Brise von Amazu

Ein japanischer Winter am Biwasee ist nicht so kalt und nicht so schneereich wie die meisten deutschen Winter, aber doch liegt oft fußhoch eine weiße Schneerinde am Seerand, auf den Hausdächern und in den Gabeln der Bäume. See und Himmel sind dann vom Winterdunst eingewickelt. Der See liegt wie ein dunkles Zelt im Nebelrauch, und wie weiße Insektenschwärme kommen die Schneeflocken an. Ihr kreiselnder Tanz im Wind ist im Wintertag das einzige Leben am See, dessen Spiegel blind ist, auf dem sich kein Segel zeigt, dessen Schilffelder abgemäht sind und der einer Wüste aus grauem Basalt ähnelt.

Die acht Gesichter am Biwasee. Japanische Liebesgeschichten. (1911) — Das Abendrot zu Seta

Hinter den Feldern im Westen stieg allmählich eine Helle in den Himmelsraum - die wurde heller als der Tag auf der Landstraße, und die Erdstreifen voll grünem Roggen und Dung schienen sich zu verdunkeln; das Grün des Roggens wurde schwefelgrüner, wie von einem Gewitterstrahl beleuchtet, der Tag aber, der weißer als die Sonne aus der Erdtiefe in die Ferne hinter dem verdunkelten Feldrand heraufschien, strahlte in den Himmel und beleuchtete einige Wolken von unten heller, als es die Sonne von oben tat. Die Erdrinde, voll von Feldern und Hecken, schien zwischen zwei Sonnen wie eine dunkle Kruste gelagert. Eine Sonne der Tiefe schien gegen die Sonne der Höhe einen Lichtkampf aufzunehmen.

Noch flogen im Westen wenig Singvögel aus den Hecken, und eine unheimliche großartige Stille lag dort in den Feldern. Diese Stille schien wie ein luftleerer Riesenraum das Land voll Roggen verschlucken zu wollen.

Die Riesenstille des Atlant und das Abendlicht des Atlant, das in den Wolken spiegelte, Stille und Blendlicht kamen mir vom Wasserkörper des Gottes Okeanos zuerst entgegen, beide ungeheuerlich wie große ungeheuerliche Gesten eines unsichtbaren Giganten.

Raubmenschen (1911) — 1. Eine Begegnung am Atlant

An diesem Morgen, als ich den Atlant wieder suchte, ging ich nicht über den kleinen Fluß zur Düne hinüber. Ich ging diesseits über den Kies und über Muschelboden am Flußufer entlang, vorbei an einer gewaltigen uralten schwarzblättrigen Eiche und dann auf einem Felsenpfad in die Klippenwelt hinauf. Die war wie aus rotem und braunem Kupfer geschmiedet, als hier eine Welt zu Schlacken zerschmolzen, brandfarben dicht bei einer riesigen blauen Flamme; dieses blaue Feuer schien an den brandbraunen Felsen mit Schmelzglut zu lecken. Jene gasblaue Feuerwelt war der morgendliche Atlant. Feuerblau wie eine geschlängelte Flammenzunge lief der Fluß drunten zwischen der goldsandigen, gelben flachen Düne in das Land. Dieses war im Hintergrund mit blühenden, weiß und rosig getupften Obstbäumen umstellt, und das weiße Gasthaus mit seinen sechs Fenstern glänzte an der weißen Landstraße, und dahinter im tiefsten Land lag ein graublauer Waldsaum, Wald hinter Wald.

Alles, was der Mensch sich landschaftlich Schönes wünschen konnte, war hier versammelt: grüne Roggenfelder auf dem Klippenplateau, lauschige Dorfhäuser, sonnenhelle Dünen, finster abstürzende, von Stürmen geschwärzte Klippenmauern.

Raubmenschen (1911) — 1. Eine Begegnung am Atlant

Kaum aber schaute ich von der Zeichnung des dunkeln Tales auf und zu dem Popocatepetl und Ixtaccihuatl zurück, da erschrak ich fast. Die weiße Wolke hatte sich wie eine orangerote Lavaglutmasse entzündet, der Himmel war giftgrün geworden, wie ein Grünspankugel leuchtend, die Schlagschatten im Tal wurden indigoblau, und die Krater unten im Tal standen wie blau eingewickelte Zuckerhüte nebeneinander; die Landschaft hatte ein einziger Augenblick verhext. Auf Tausende von Meilen hin waren Farben, orangerot, giftgrün und indigoblau, aufgetaucht. Im Westen spielte die Sonne als ein dreifach farbiger Scheinwerfer und stieß an den Erdrand des schwarzen Hügelwellenlandes, dahinter sie unaufhaltsam hinsank, so daß die Schatten wie schwarze Strahlen plötzlicher Nacht über mich und die Landschaft fuhren, als würde die Nacht ein zweiter Scheinwerfer, der schwarze Strahlen würfe neben der Sonne. Es bewegten sich um mich alle Hügel, Täler wurden zu finstern Ebenen; die nächste Nähe, selbst das Gras zu meinen Füßen, wurde fremdartig, wurde wie von Abgründen erfüllt; es wuchsen Moore von Finsternissen neben langen scharlachnen Lichtgassen auf der Erde, und die Indigobläue verwandelte sich in lila Nebel; die Krater verschwanden - es war, als wandelten die Berge fort -, und eine eisige Kälte strahlt aus den Grasspitzen zu meinen Füßen auf. Alles ging so eilig, so sichtbar und greifbar vor sich, als wäre das Licht hier eine Pulvermasse, die abbrennte, rauchte, lebte und sich verzehrte, wie eine Materie, die überall hier verschiedenfarbig ausgeschüttet wäre und explosiv aufleuchtete und sich verkröche.

Raubmenschen (1911) — 4. Der Totenpfad

Es wurde nicht Nacht. Der Schein des aufgehenden Mondes stand hinter den Sträußen der Palmen, und immer, wenn ich unter eine Palme hinritt, war die Luft darunter warm wie in einem Haus, außerhalb des Bereiches der Palmenkrone aber war die Luft abendkühl. Der Zitronenduft löste sich zudringlicher von den Büschen des Unterholzes. Bald ritt ich durch buschigen Zitronenwald, der grau im Mondschein wie ein Nebel neben mir lag, und atmete so reichen Duft ein, daß mir schwindelig wurde. Der Zitronenduft und der Duft von Orangenblüten erinnerte mich an den Geruch eines Hochzeitskranzes und Hochzeitsstraußes. Wo war die Braut, der dieser Kranz und dieser Strauß gehörten? Das weiße Gesicht des Mondes stieg aus dem Unterholz. Der Mond machte meine kaum genesenden Nerven noch schwindeliger als der Orangenblütenduft.

Raubmenschen (1911) — 4. Der Totenpfad

…und nun erst hätte die Sonne den Schnee so weit geschmolzen, daß ich sie wiederfinden konnte wie eine Schneeglockenblume im Februar in einer aufgestauten Grube. Und wie diese Blüten einen feinen, frischen Honiggeruch haben, so erinnerte mich ihr goldgelbes Haar an Honig und leuchtete in der kleinen weißen Kabine wie Honigtropfen in einer Wachswabe. Der Meerglanz draußen griff mit seinen silbernen Lichtnetzen herein und streichelte die still atmende junge Frau und kam über die Wände der Kabinen wie ein Lichtregen auf sie herab und überrieselte das ganze Gemach…

Raubmenschen (1911) — 5. Die Ozeanwelle

Der Orkan begann jeden Nachmittag um fünf Uhr und tobte bis zum nächsten Morgen um neun Uhr, dann setzte der Sturm aus; aber das Meer kam wie eine weiße Gletscherwelt, eisgrün und weiß beschaumt und granitgrau und marmorschwarz, gleichen langen Marmorbrücken im Mittagnebel gegangen, und der Atlant glich eher den Gebirgsketten einer Schweizer Landschaft als einem flachen Wasser.

Raubmenschen (1911) — 5. Die Ozeanwelle