Ernst Maria Richard Stadler: Zitate

Der Sommermittag lastet auf den weißen
Terrassen und den schlanken Marmortreppen
die Gitter und die goldnen Kuppeln gleißen
leis knirscht der Kies. Vom müden Garten schleppen

sich Rosendüfte her wo längs der Hecken
der schlaffe Wind entschlief in roten Matten
und geisternd strahlen zwischen Laubverstecken
die Götterbilder über laue Schatten.

Die Efeulauben flimmern. Schwäne wiegen
und spiegeln sich in grundlos grünen Weihern
und große fremde Sonnenfalter fliegen
traumhaft und schillernd zwischen Düfteschleiern

Mittag (1904)

Der Tag verdämmert wie ein seliger Traum.
Wie klar im Abendgold die Lüfte beben!
Und vor der Stunde leisem Fingerheben
zaudert der Tag und blaßt das Leuchten kaum …
Laß tief der Stunde Zauber in dir leben!

Aus Quellen steigen blaue Nymphen auf,
der Esche Leib erschwillt von dunklen Faunen,
im Flimmerlaub raschelt des Windes Raunen,
wie hastige Schritte schlürft der Bäche Lauf –
und schallend tief erwacht der Wald mit Staunen.

Verstreute Gedichte aus den Jahren 1902 bis 1904 (1904) — Dämmerung (Nach Henri de Régnier)

In Kapellen mit schrägen Gewölben zerfallnen Verließen
und Scheiben flammrot wie Mohn und wie Perlen grün
und Marmoraltären über verwitterten Fliesen
sah ich die Nächte wie goldne Gewässer verblühn:

Praeludien (1904) — Traumland: Aus der Dämmerung

Des wirbelnden Frühlings leise girrendes Locken
der Sommernächte Duftrausch weckte mich nicht:
Blaß aus Fernen läuteten weiße Glocken …
Grün aus Kuppeln sickerte goldiges Licht …

Praeludien (1904) — Traumland: Aus der Dämmerung

Und deine Worte fremd und klanglos fielen
wie blasse Mandelblüten leicht und leuchtend
zum Fluß aus dessen schwankem Grunde spiegelnd
die hellen Wiesen lockten und der Himmel
und allen Lebens traumhaft Bild indes
vom flirrenden Geäst durchsungner Kronen
der Abend in Rubinenfeuern sprühend
sich golden in die lauen Wolken schwang.

Praeludien (1904) — Traumland: Stille Stunde

Und die zitternden gleitenden Weiden hängen
schwer im Glanz und durch die Lindenkronen
sickert flirrend dünner güldner Regen.

Praeludien (1904) — Traumland: Abendleuchten

Der lange Tag erlosch im gelben Leuchten
des Monds der weich sich zwischen Pappeln hebt
indes der Hauch des Weihers der im feuchten
Schilfröhricht schläft duftend im Dämmer schwebt.

Praeludien (1904) — Traumland: Der gelbe Mond

Der stille Teich von dunklem Schilf umflüstert
und alten überwachsnen Stämmen die seltsam rauschen
erglüht im sinkenden Abend.

Praeludien (1904) — Bilder und Gestalten: Der Teich

Die Efeulauben flimmern. Schwäne wiegen
und spiegeln sich in grundlos grünen Weihern
und große fremde Sonnenfalter fliegen
traumhaft und schillernd zwischen Düfteschleiern.

Praeludien (1904) — Bilder und Gestalten: Mittag

Gleich seltnen Faltern schaukeln Orchideen
und krause Farren ringeln ihr Gefieder
glitzernd von überwachsnen Wänden wehn
in Flocken wilde Blütenbüschel nieder.

Praeludien (1904) — Bilder und Gestalten: Im Treibhaus

Dann glitt in leisem Schmuck geblümter Wiesen
der Frühling übers Land rieselnd von Sonne
und schwer vom Sehnen früher Sternennächte.

Praeludien (1904) — Bilder und Gestalten: Das Mädchen spricht

Die Kirschbaumblüten im lichtdurchschwemmten Garten
Sind wie Kandelaber von Millionen Kerzen,
Die das Vollmondfeuer angesteckt. Die zarten Kissen
Grüngesprengten Rasens zwischen Krokusbeeten
Sind besteckt mit weißen Perlensäumen,
Und die kühle spiegelhelle Luft
Ist ein feiner Schleier von gewebtem Silber,
Den die Lenznacht heimlich glühend um die
Weiße warme Nacktheit ihrer Glieder hängt.

Verstreute Gedichte aus den Jahren 1910 bis 1914 (1914) — Frühlingsnacht

Die kupferrote Sonne im Versinken
Hängt zwischen Höhlen scharf gezackter Zweige
In harter Glut der strahlenlosen Neige,
Die feuchte Luft scheint allen Glanz zu trinken.

Verstreute Gedichte aus den Jahren 1910 bis 1914 (1914) — Untergang

In dieser Märznacht
trat ich spät aus meinem Haus.
Die Straßen waren aufgewühlt von Lenzgeruch
und grünem Saatregen.
Winde schlugen an.

Der Aufbruch (1914) — Die Flucht: Vorfrühling

In den Horizonten eingebrannt
War schon die Bläue hoher Morgenstunden,
die ins Weite führen sollten.

Die Schleusen knirschten.
Abenteuer brach aus allen Fernen.

Der Aufbruch (1914) — Die Flucht: Vorfrühling

Mein Herz steht bis zum Hals in gelbem Erntelicht
wie unter Sommerhimmeln schnittbereites Land.

Der Aufbruch (1914) — Die Flucht: Sommer

Im Abend sind wir steile
grünbebuschte Dünenwege hingeschritten.
Du ruhst an mich gedrängt.
Die Kreideklippe schwingt ihr schimmerndes Gefieder
über tiefem Meere.

Der Aufbruch (1914) — Stationen: Lover’s Seat

Nun streckt Erinnerung hundert Schmeichlerarme aus,
mich einzufangen,
Legt sich zu mir, ganz still, nur schattenhaft,
nur wie die letzte Welle Dufts
von Schlehdornsträuchern abgeweht,
Nur wie ein Spalt von Licht, davon doch meine Seele
wie ein Frühlingsbeet in Blüten steht –
Ich schreite wie durch Gärten.

Der Aufbruch (1914) — Stationen: Gang in der Nacht

Ich steige selig
in die Kammer meines Glückes nieder,
Ganz tief in mir, so wie ein Vogel,
der ins flaumige Gefieder
Zu sommerdunklem Traum
das Köpfchen niederduckt.

Der Aufbruch (1914) — Stationen: Glück

O, meine Sehnsucht ist wie dunkles Wasser
aufgestaut vor Schleusentoren,
In Mittagsstille hingelagert
reglos lauernd,
Begierig, auszubrechen.
Sommersturm,
Der schwer im Hinterhalt geladner Wolken hält.

Der Aufbruch (1914) — Stationen: In diesen Nächten

Tag kommt mit aufgefrischtem Himmel,
blitzend in den Halmen;
Morgen mit den harten, kühlen Farben,
Die betäubt in einen brennendgelben Mittag sinken –
grenzenlose Julisonne über allen Feldern,
In alle Krumen sickernd, schwer ins Mark versenkt,
bewegungslos,
In langen Stunden weilend, nur von Schatten überwölbt,
die langsam weiter laufen,
Sich strecken und entzündet in das violette Farbenspiel
des Abends wachsen,
Das nicht mehr enden will.

Der Aufbruch (1914) — Die Rast: Hier ist Einkehr

Es hat geregnet.
Alle Blätter dampfen Feuchte.
Die Weidenwildnis streckt mit hellen Tümpeln
sich ins witternde Geleuchte.
Weiße Nebel
sich ins Abendglänzen schwingen.

Der Aufbruch (1914) — Die Rast: Fluß im Abend

Überall strömt Himmel ein und Geruch von Bäumen
und der starke Duft der Äcker.
Überall erlischt die Stadt
in einer feuchten Herrlichkeit von Wiesen,
Und durch den grauen Ausschnitt
niedrer Dächer schwankt
Gebirge, über das die Reben klettern,
die mit hellen Stützen in die Sonne leuchten.
Darüber aber schließt sich Kiefernwald:

Der Aufbruch (1914) — Die Rast: Fluß im Abend