Adalbert Stifter: Zitate

Die Nachmittagssonne war schon ziemlich tief zu Rüste gegangen, und spann schon manchen rothen Faden zwischen den dunklen Tannenzweigen herein, von Ast zu Ast springend, zitternd und spinnend durch die vielzweigigen Augen der Himbeer- und Brombeergesträuche - daneben zog ein Hänfling sein Lied wie ein anderes dünnes Goldfädchen von Zweig zu Zweig, entfernte Berghäupter sonnten sich ruhig, die vielen Morgenstimmen des Waldes waren verstummt, denn die meisten der Vögel arbeiteten, oder suchten schweigend in den Zweigen herum.

Der Hochwald (1841) — 2. Waldwanderung

Der zarte, schwerfällige Sohn des Spätjahres hatte sich bereits eingestellt, der Nebel, und oft, wenn die Schwestern an der noch immer sonnenwarmen Wand ihrer Felsen saßen, die einzelnen Glanzblicke des Tages genießend, so wogte und webte er draußen, entweder Spinnenweben über den See und durch die Thäler ziehend, oder silberne Inseln und Waldesstücke durcheinander wälzend, ein wunderbar Farbengewühl von Weiß und Grau und der rothen Herbstglut der Wälder; dazu mischte sich die Sonne und wob heiße weißgeschmolzne Blitze und kalte feuchte blaue Schatten hinein, daß ein Schmelz quoll, schöner und inniger, als alle Farben des Frühlings und Sommers. Und wenn die Mädchen dann so schweigend hinaussahen, so rieselte es neben ihnen leise, und ein oder zwei blutrothe Blätter des Waldkirschbaumes fielen zu ihren Füßen.

Der Hochwald (1841) — 6. Waldfels

Da waren die lichten, klaren, glänzenden Lüfte mit den wunderlichen Aprilwolken voll Sonnenblicken - das Zittern der anbrütenden Lenzwärme über den noch schwarzen Feldern - die schönen grünen Streifen der Wintersaat dazwischen; - dann waren die röthlich fahlen Wälder, die an den Bergen hinanziehen, mit dem sanften blauen Lufthauch darüber, und überall auf der farblosen Erde die geputzten Menschen wandelnd, die so gern die ersten Strahlen der schwachen Lenzsonne und der reinen Luft genießen wollten.

Feldblumen (1841) — 1. Primel

Es war erst vier Uhr; ich aber stand auf und dachte, ich wolle den Morgen im Freien genießen. Mein Weg führte mich in den Park von Schönbrunn, alle Zweige hingen voll Morgengetön der Vögel, und ganz fern über den Karpathen stand der sanftblaue Duft eines Morgengewitters, und die Luft versprach etwas mehr als einen gewöhnlich schönen Tag.

Feldblumen (1841) — 12. Vergißmeinnicht und Wolfsmilch

Nicht ein Hälmchen rührte sich und der ganze Garten wartete gedrückt; über ihm stand schwer niederhängend die Wucht stummer, warmer, dicker Wolken, die sich rüsteten und mit leisen Regungen durcheinanderschoben. Mein Auge starrte entzündet hinauf, und dem Herzen thaten ordentlich die armen kleinen, glänzenden Flöckchen weh, die aus dem dunkeln Knäuel vorhingen - gleichsam gerettete, schöne Kindheitsgedanken in einem dumpfen Herzen - und immer dicker und schwerer wurden Luft und Wolken; im fernen Osten ging in schiefen Streifen schon der röthlich graue Schleier des Regens nieder - da kam der Wind geflogen und der Donner, rollend über alle Wipfel des Gartens; große Tropfen fielen und somit lös’te sich die Stille am Himmel und auch in mir. Ein frisches Rauschen wühlte in den Bäumen und mischte Grün und Silber durcheinander, und in mir raffte sich ein fester, körniger Entschluß empor und gab mir meine Schnellkraft wieder, nämlich der Entschluß, sogleich abzureisen. - Fahre wohl, Armida, dachte ich - fahre wohl! Ich ging nach Hause; ein prachtvoller Regen rauschte nieder, und ich freute mich, je toller er um meine Schläfe rasselte, und je nasser ich wurde.

Feldblumen (1841) — 12. Vergißmeinnicht und Wolfsmilch

Am frühen Morgen des neun und zwanzigsten Tages ihres Zuges, da sie über eine strauchlose sachte ansteigende Fläche zogen, riß plötzlich die Farbe des Landes, die lieblich dämmernde, die sie nun so viele Wochen gesehen hatten, ab, und am perlenlichten Morgenhimmel draußen lag ein unbekanntes Ungeheuer. Uram riß die Augen auf. Es war ein dunkelblauer, fast schwarzer Streifen, in furchtbar gerader langer Linie sich aus der Luft schneidend, nicht wie die gerade Linie der Wüste, die in sanfter Schönheit, oft in fast rosenfarbner Dämmerung unerkennbar in dem Himmel lag; sondern es war wie ein Strom, und seine Breite stand so gerade empor, als müßte er augenblicklich über die Berge herein schlagen.

»Das ist das Mittelmeer,« sagte Abdias, »jenseits dessen das Land Europa liegt, in welches wir ziehen.«

So schön ist der Scheidegruß, den das traurige Sandland seinem Sohne nachruft, der es verläßt, um die feuchten Küsten Europas aufzusuchen.

Abdias (1842)

Einmal in der Dämmerung einer sehr gewitterschwülen Nacht, da sie eben an dem offenen Fenster stand und dem entfernten Blitzen zusah, bemerkte Abdias, der hinter ihr in einem Stuhle saß, daß ein leichter, schwacher, blaßer Lichtschein um ihr Haupt zu schweben beginne, und daß die Enden der Seidenbändchen, womit ihr Haar gebunden war, sich sträuben und gerade empor ständen. […] Er erinnerte sich jetzt auch, daß ihm einmal im Morgenlande erzählt worden war, daß wenn es Nachts an dem Himmel blitze und ein Gewitter nicht auszubrechen vermöge, die Blumen unten manchmal eine leichte Flamme aus ihrem Kelche entlassen, oder daß gar ein fester ruhiger Schein darüber steht, der nicht weicht und doch nicht die Blätter und die zarten Fäden verbrennt. Ja diese Blumen sind dann gar die schönsten.

Abdias (1842)

Der Mond stand mitten in der Sonne, aber nicht mehr als schwarze Scheibe, sondern gleichsam halb transparent wie mit einem leichten Stahlschimmer überlaufen, rings um ihn kein Sonnenrand, sondern ein wundervoller, schöner Kreis von Schimmer, bläulich, rötlich, in Strahlen auseinanderbrechend, nicht anders, als gösse die obenstehende Sonne ihre Lichtflut auf die Mondeskugel nieder, daß es rings auseinanderspritzte - das Holdeste, was ich je an Lichtwirkung sah!

Draußen weit über das Marchfeld hin lag schief eine lange, spitze Lichtpyramide gräßlich gelb, in Schwefelfarbe flammend und unnatürlich blau gesäumt; es war die jenseits des Schattens beleuchtete Atmosphäre, aber nie schien ein Licht so wenig irdisch und so furchtbar, und von ihm floß das aus, mittels dessen wir sahen. Hatte uns die frühere Eintönigkeit verödet, so waren wir jetzt erdrückt von Kraft und Glanz und Massen - unsere eigenen Gestalten hafteten darinnen wie schwarze, hohle Gespenster, die keine Tiefe haben; das Phantom der Stephanskirche hing in der Luft, die andere Stadt war ein Schatten, alles Rasseln hatte aufgehört, über die Brücke war keine Bewegung mehr; denn jeder Wagen und Reiter stand und jedes Auge schaute zum Himmel.

Die Sonnenfinsternis am 8. Juli 1842

Es geht die Sage, daß, wenn in der Schweiz ein thauiger sonnenheller lauer Wintertag über der weichen, klafterdicken Schneehülle der Berge steht, und nun oben ein Glöckchen tönt, ein Maulthier schnauft, oder ein Bröselein fällt - sich ein zartes Flöckchen von der Schneehülle löset, und um einen Zoll tiefer rieselt. Der weiche, nasse Flaum, den es unterwegs küsset, legt sich um dasselbe an, es wird ein Knöllchen und muß nun tiefer nieder, als einen Zoll. Das Knöllchen hüpft einige Handbreit weiter auf der Dachsenkung des Berges hinab. Ehe man dreimal die Augen schließen und öffnen kann, springt schon ein riesenhaftes Haupt über die Bergesstufen hinab, von unzähligen Knöllchen umhüpft, die es schleudert, und wieder zu springenden Häuptern macht. Dann schießt’s in großen Bögen. Längs der ganzen Bergwand wird es lebendig, und dröhnt. Das Krachen, welches man sodann herauf hört, als ob viele tausend Späne zerbrochen würden, ist der zerschmetterte Wald, das leise Aechzen sind die geschobenen Felsen - dann kommt ein wehendes Sausen, dann ein dumpfer Knall und Schlag - - dann Todtenstille - nur daß ein feiner weißer Staub in der Entfernung gegen das reine Himmelsblau empor zieht, ein kühles Lüftchen vom Thal aus gegen die Wange des Wanderers schlägt, der hoch oben auf dem Saumwege zieht, und daß das Echo einen tiefen Donner durch alle fernen Berge rollt. Dann ist es aus, die Sonne glänzt, der blaue Himmel lächelt freundlich, der Wanderer aber schlägt ein Kreuz und denkt schauernd an das Geheimniß, das jetzt tief unten in dem Thale begraben ist.

Das alte Siegel (1844) — 3. Das Lindenhäuschen

Es liegt im menschlichen Geschlechte das wundervolle Ding der Schönheit. Wir alle sind gezogen von der Süßigkeit der Erscheinung, und können nicht immer sagen, wo das Holde liegt. Es ist im Weltall, es ist in einem Auge, dann ist es wieder nicht in Zügen, die nach jeder Regel der Verständigen gebildet sind. Oft wird die Schönheit nicht gesehen, weil sie in der Wüste ist, oder weil das rechte Auge nicht gekommen ist - oft wird sie angebetet und vergöttert, und ist nicht da: aber fehlen darf sie nirgends, wo ein Herz in Inbrunst und Entzücken schlägt, oder wo zwei Seelen an einander glühen; denn sonst steht das Herz stille, und die Liebe der Seelen ist todt. Aus welchem Boden aber diese Blume bricht, ist in tausend Fällen tausendmal anders; wenn sie aber da ist, darf man ihr jede Stelle des Keimens nehmen, und sie bricht doch an einer andern hervor, wo man es gar nicht geahnet hatte. Es ist nur dem Menschen eigen, und adelt nur den Menschen, daß er vor ihr kniet - und alles, was sich in dem Leben lohnt und preiset, gießt sie allein in das zitternde beseligte Herz. Es ist traurig für einen, der sie nicht hat, oder nicht kennt, oder an dem sie kein fremdes Auge finden kann.

Brigitta (1847)

Aber sie erblickten nichts. Sie sahen durch einen trüben Raum in den Himmel. Wie bei dem Hagel über die weißen oder grünlich gedunsenen Wolken die finsteren fransenartigen Streifen herabstarren, so war es hier, und das stumme Schütten dauerte fort. Auf der Erde sahen sie nur einen runden Fleck Weiß und dann nichts mehr.

Bergkristall (1853)

Die Sonne hatte zwar den ganzen Tag nicht ausgeschienen, aber dennoch hatte sie den matten Schleier, der den ganzen Himmel bedeckte, so weit durchdrungen, daß man ihr blasses Bild immer sehen konnte, daß um alle Gegenstände des Steinlandes ein wesenloses Licht lag, dem kein Schatten beigegeben war, und daß die Blätter der wenigen Gewächse, die zu sehen waren, herabhingen; denn obgleich kaum ein halbes Sonnenlicht durch die Nebelschichte der Kuppel drang, war doch eine Hitze, als wären drei Tropensonnen am heiteren Himmel und brennten alle drei nieder.

Kalkstein (1853)

»Wie sehr diese Tiere für das Ungeziefer geschaffen sind«, sagte er nach einer Weile, »zeigt sich aus der Beobachtung, daß sie die Arbeit unter sich teilen. Die Blaumeise und die Tannenmeise entdeckt die Brut der Ringelraupe und anderer Raupengattungen an den äußersten Spitzen der Zweige, wo sie unter der Rinde verborgen ist, indem sie, sich an die Zweige hängend, dieselben absucht, die Kohlmeise durchsucht fleißig das Innere der Baumkrone, die Spechtmeise klettert Stamm auf Stamm ab und holt die versteckten Eier hervor, der Finke, der gerne in den Nadelbäumen nistet, weshalb auch solche Bäume in dem Garten sind, geht gleichwohl gerne von ihnen herab und läuft den Gängen der Käfer und der gleichen nach, und ihn unterstützen oder übertreffen vielmehr die Ammerlinge, die Grasmücken, die Rotkehlchen, die auf der Erde unter Kohlpflanzen und in Hecken ihre Nahrung suchen und finden. Sie beirren sich wechselseitig nicht und lassen in ihrer unglaublichen Tätigkeit nicht nach, ja sie scheinen sich eher darin einander anzueifern. Ich habe nicht eigens Beobachtungen angestellt; aber wenn man mehrere Jahre unter den Tieren lebt, so gibt sich die Betrachtung von selber.«

Der Nachsommer (1857) — Der Abschied

Das Wasser dieses Waldbeckens ist so klar, daß man in ziemlicher Tiefe noch alle die bunten Steine sehen kann, welche auf dem Grunde liegen. Nur schienen sie grünlich blau gefärbt, wie es bei allen Wässern der Fall ist, die aus unsern Kalkalpen oder in deren Nähe fließen. Rings um dieses Wasser ist das Gezweige so dicht, daß man keinen Stein und kaum einen Uferrand sehen kann, sondern die Zweige aus dem Wasser zu ragen scheinen. Die Bäume, die da stehen, sind eines Teils Nadelholz, das mit seinem Ernste sich in die Heiterkeit mischt, die auf den Ästen, Blättern und Wipfeln der Laubbäume ruht, die den vorherrschenden Teil bilden. Vorzugsweise ist die Erle, der Ahorn, die Buche, die Birke und die Esche vorhanden. Zwischen den Stämmen ist reichliches Wuchergestrippe.

Der Nachsommer (1857) — Die Annäherung

Die Tage wurden länger. Die Sonne war morgens schon sehr zeitlich über den Föhren heroben, und am Abende stand noch spät die blaue Seewand im Golde des Himmels. Das Heulen des Wolfes war nicht mehr zu vernehmen, dafür tönte der Schrei des Hirsches, oder der Ruf des Auerhahnes, oder ein schneller Klang der Frühlerche.

Der Reif ging von den Wäldern, daß sie dunkel da standen, der Schnee rann als Wasser von den Bergen und durch die Senkung der Täler, bis kein kleines Teilchen der Hülle mehr sichtbar war. Die längliche Tafel des Tales zeigte nun in ihrem unteren Teile Wiesen, und in dem fahlen Wintergrase war die blaue Schlange der Moldau. Weiter oben waren die braunen Streifen der geackerten Felder, oder die grünen derer, die Wintersaaten trugen, dann war der Wald.

Witiko (1865) — 4: Es weheten die Banner.

Die Wintersaaten wurden höher und grüner, die Sommersaaten keimten, die Wiesen färbten sich dunkel, der Waldkirschenbaum, welcher im Sommer die kleinen schwarzen Kirschen bringen sollte, war mit weißen Blüten überdeckt, die Schlehe und der Kreuzdorn blühten, der Holzbirnbaum auch, darnach begann der Waldapfelbaum, die Tannen setzten die neuen lichtgrünen Sprossen an, und endlich öffnete sich auch die Blume der lichteren und dunkleren Waldrose mit den fünf Blättern, die am Hage oder am Saume des Waldes dahin stand.

Witiko (1865) — 4: Es weheten die Banner.