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Arthur Schopenhauer: Zitate

Menschliche Schönheit ist ein objektiver Ausdruck, welcher die vollkommenste Objektivation des Willens auf der höchsten Stufe seiner Erkennbarkeit bezeichnet, die Idee des Menschen überhaupt, vollständig ausgedrückt in der angeschauten Form. So sehr hier aber auch die objektive Seite des Schönen hervortritt; so bleibt die subjektive doch ihre stete Begleiterin: und eben weil kein Objekt uns so schnell zum rein ästhetischen Anschauen hinreißt, wie das schönste Menschenantlitz und Gestalt, bei deren Anblick uns augenblicklich ein unaussprechliches Wohlgefallen ergreift und über uns selbst und Alles was uns quält hinaushebt; so ist dieses nur dadurch möglich, daß diese allerdeutlichste und reinste Erkennbarkeit des Willens uns auch am leichtesten und schnellsten in den Zustand des reinen Erkennens versetzt, in welchem unsere Persönlichkeit, unser Wollen mit seiner steten Pein, verschwindet, so lange die rein ästhetische Freude anhält: daher sagt Goethe: »Wer die menschliche Schönheit erblickt, den kann nichts Uebles anwehen: er fühlt sich mit sich selbst und mit der Welt in Uebereinstimmung.« – Daß nun der Natur eine schöne Menschengestalt gelingt, müssen wir daraus erklären, daß der Wille, indem er sich auf dieser höchsten Stufe in einem Individuo objektivirt, durch glückliche Umstände und seine Kraft, alle die Hindernisse und den Widerstand vollkommen besiegt, welche ihm die Willenserscheinungen niedriger Stufen entgegensetzen, dergleichen die Naturkräfte sind, welchen er die Allen angehörende Materie immer erst abgewinnen und entreißen muß.

Die Welt als Wille und Vorstellung, Band 1, Drittes Buch, § 45

Es gehört, wie oben erwähnt, zum Auszeichnenden der Menschheit, daß bei ihr der Charakter der Gattung und der des Individuums auseinandertreten, so daß, wie im vorigen Buch gesagt, jeder Mensch gewissermaaßen eine ganz eigenthümliche Idee darstellt. Die Künste daher, deren Zweck die Darstellung der Idee der Menschheit ist, haben neben der Schönheit, als dem Charakter der Gattung, noch den Charakter des Individuums, welcher vorzugsweise Charakter genannt wird, zur Aufgabe; diesen jedoch auch nur wieder, sofern er nicht als etwas Zufälliges, dem Individuo in seiner Einzeinheit ganz und gar Eigenthümliches anzusehn ist, sondern als eine gerade in diesem Individuo besonders hervortretende Seite der Idee der Menschheit, zu deren Offenbarung die Darstellung desselben daher zweckdienlich ist. Also muß der Charakter, obzwar als solcher individuell, dennoch idealisch, d.h. mit Hervorhebung seiner Bedeutsamkeit in Hinsicht auf die Idee der Menschheit überhaupt (zu deren Objektivirung er auf seine Weise beiträgt) aufgefaßt und dargestellt werden: außerdem ist die Darstellung Porträt, Wiederholung des Einzelnen als solchen, mit allen Zufälligkeiten. Und selbst auch das Porträt soll, wie Winckelmann sagt, das Ideal des Individuums seyn.

Die Welt als Wille und Vorstellung, Band 1, Drittes Buch, § 45

Weil Schönheit nebst Grazie der Hauptgegenstand der Skulptur ist, liebt sie das Nackte, und leidet Bekleidung nur sofern diese die Formen nicht verbirgt. Sie bedient sich der Draperie nicht als einer Verhüllung, sondern als einer mittelbaren Darstellung der Form, welche Darstellungsweise den Verstand sehr beschäftigt, indem er zur Anschauung der Ursache, nämlich der Form des Körpers, nur durch die allein unmittelbar gegebene Wirkung, den Faltenwurf, gelangt. Sonach ist in der Skulptur die Draperie gewissermaaßen Das, was in der Malerei die Verkürzung ist. Beide sind Andeutungen, aber nicht symbolische, sondern solche, welche, wenn sie gelungen sind, den Verstand unmittelbar zwingen, das Angedeutete, eben so als ob es wirklich gegeben wäre, anzuschauen.

Die Welt als Wille und Vorstellung, Band 1, Drittes Buch, § 47

Dem Gesagten gemäß giebt es, wie eine bloße Jugendschönheit, die fast Jeder ein Mal besitzt (beauté du diable), auch eine bloße Jugend-Intellektualität, ein gewisses geistiges, zum Auffassen, Verstehn, Lernen geneigtes und geeignetes Wesen, welches Jeder in der Kindheit, Einige noch in der Jugend haben, das aber danach sich verliert, eben wie jene Schönheit. Nur bei höchst Wenigen, den Auserwählten, dauert das Eine, wie das Andere, das ganze Leben hindurch fort; so daß selbst im höhern Alter noch eine Spur davon sichtbar bleibt: dies sind die wahrhaft schönen, und die wahrhaft genialen Menschen.

Die Welt als Wille und Vorstellung, Band 2, Ergänzungen zum dritten Buch, 31. Vom Genie

Im Interesse des guten Geschmacks muß ich wünschen, daß große Geldmittel dem objektiv, d.h. wirklich Guten und Rechten, dem an sich Schönen, zugewendet werden, nicht aber Dem, dessen Werth bloß auf Ideenassociationen beruht.

Die Welt als Wille und Vorstellung, Band 2, Ergänzungen zum dritten Buch, 35. Zur Aesthetik der Architektur

In der Skulptur sind Schönheit und Grazie die Hauptsache: in der Malerei aber erhalten Ausdruck, Leidenschaft, Charakter das Uebergewicht; daher von der Forderung der Schönheit eben so viel nachgelassen werden muß. Denn eine durchgängige Schönheit aller Gestalten, wie die Skulptur sie fordert, würde dem Charakteristischen Abbruch thun, auch durch die Monotonie ermüden. Demnach darf die Malerei auch häßliche Gesichter und abgezehrte Gestalten darstellen: die Skulptur hingegen verlangt Schönheit, wenn auch nicht stets vollkommene, durchaus aber Kraft und Fülle der Gestalten. Folglich ist ein magerer Christus am Kreuz, ein von Alter und Krankheit abgezehrter, sterbender heiliger Hieronymus, wie das Meisterstück Domenichino’s, ein für die Malerei passender Gegenstand: hingegen der durch Fasten auf Haut und Knochen reducirte Johannes der Täufer, in Marmor, von Donatello, auf der Gallerie zu Florenz, wirkt, trotz der meisterhaften Ausführung, widerlich. – Von diesem Gesichtspunkt aus scheint die Skulptur der Bejahung, die Malerei der Verneinung des Willens zum Leben angemessen, und hieraus ließe sich erklären, warum die Skulptur die Kunst der Alten, die Malerei die der christlichen Zeiten gewesen ist.

Die Welt als Wille und Vorstellung, Band 2, Ergänzungen zum dritten Buch, 36.​Vereinzelte Bemerkungen zur Aesthetik der bildenden Künste

Das schwindelnde Entzücken, welches den Mann beim Anblick eines Weibes von ihm angemessener Schönheit ergreift und ihm die Vereinigung mit ihr als das höchste Gut vorspiegelt, ist eben der Sinn der Gattung, welcher den deutlich ausgedrückten Stämpel derselben erkennend, sie mit diesem perpetuiren möchte. Auf diesem entschiedenen Hange zur Schönheit beruht die Erhaltung des Typus der Gattung: daher wirkt derselbe mit so großer Macht.

Die Welt als Wille und Vorstellung, Band 2, Ergänzungen zum dritten Buch, 44. Metaphysik der Geschlechtsliebe

Von der individuellen Beschaffenheit ausgehend und auf die individuelle Beschaffenheit gerichtet, ist die auf solchen relativen Rücksichten beruhende Wahl viel bestimmter, entschiedener und exklusiver, als die bloß von den absoluten ausgehende; daher der Ursprung der eigentlich leidenschaftlichen Liebe, in der Regel, in diesen relativen Rücksichten liegen wird, und nur der der gewöhnlichen, leichteren Neigung in den absoluten. Demgemäß pflegen es nicht gerade die regelmäßigen, vollkommenen Schönheiten zu seyn, welche die großen Leidenschaften entzünden.

Die Welt als Wille und Vorstellung, Band 2, Ergänzungen zum vierten Buch, 44. Metaphysik der Geschlechtsliebe